Als ich gestern als Teilnehmerin am „Runden Tisch“ zu dem – von einem Österreicher angeblich geschaffenen vermutlichen – Bauernhof-Privatgefängnis in den Niederlanden nach der ZiB 2 sagte, „Einsperren habe lange Tradition“, konnte sich das die Moderatorin gar nicht vorstellen – bis ich ihr einige konkrete Beispiele gab und sie auch daran erinnerte, dass erst vor wenigen Tagen in den Medien von einem Mann berichtet worden war, der seine Freundin in seiner Wohnung eingesperrt hatte. Auf Sendung gab ich auf deren Nachfrage – meiner 50jährigen juristischen, sozial- wie auch psychotherapeutischen Erfahrung gemäß – als Motive Strafe, Kontrollbedürfnis (das gehört zum Anspruch auf Machtausübung) aber auch vermeintlichen Schutz an.

So verweise ich in meinem ganz neu erschienen Buch „Aufrichten! Anleitung zum seelischen Wachstum“ (Verlag ORAC) nebst anderen Beispielen auf den Film „40 qm Deutschland“ von Tevfik Baser aus 1985, in dem die Ehefrau sich erst nach dem Tod ihres Gatten – beide aus der Türkei – aus der tristen Hinterhofwohnung herausbewegen und im von ihm als unmoralisch gefürchteten Alltagsleben zurechtfinden muss. Ich kenne aber aus meinem realen Miterleben auch Akademiker, die ihre Freundinnen, oft selbst Akademikerinnen (und Kinder sowieso) in der Wohnung einsperrten, Autoschlüssel und Handy wegnahmen und die Frauen so voll Angst (und Scham) waren, dass sie nicht einmal wagten, ein Fenster zu öffnen und um Hilfe zu rufen. Ich kenne Menschen, die als Kinder in Kellern, Dachböden, Garagen, Kästen eingesperrt waren und zwar meist als Strafe für „Unbotmäßigkeit“, d. h. Widerstand oder Protest gegen Demütigung oder Zwang. (Der Begriff Unbotmäßigkeit beinhaltet ja die abgelehnte Zumutung, sich wie ein Dienstbote im 19. Jahrhundert zu unterwerfen.)

Der Unterschied der eklatanten Freiheitsentzüge zu diesem früher, aber auch heute noch vorkommenden, verharmlost „Stubenarrest“ genannten, Wegsperren liegt in der Dauer – und gegenüber dem aktuellen Vorkommnis noch an der Vielzahl von Personen. In meinem Buch bringe ich auch ein – wissenschaftlich dokumentiertes – US-Beispiel der körperlichen und geistigen Schäden, die Beeinträchtigungen der Bewegungsfreiheit nach sich ziehen können.  (Beispiele aus Österreich finden sich unter https://newsv1.orf.at/070210-9117/?hrf=https%3A%2F%2newsv1.orf.at%2F070210-9117%2F9108txt_story.html). Weggesperrt werden bedeutet jedenfalls Trauma – nicht „nur“ Demütigung – und ist damit Körperverletzungen mit Dauerfolgen gleichzusetzen, auch wenn dies den Betroffenen nicht bewusst sein mag. Es beschädigt die Fühlfunktionen: Sensibilität, Selbstgefühl, Mitgefühl.

Das Wegsperren betrifft aber nicht nur widerborstige Kinder oder Partnerinnen (selten Partner, mir ist nur ein medial bekannt gewordener Fall aus letzter Zeit in Erinnerung), sondern auch geistig beeinträchtigte oder greise oder demenzkranke Menschen. Deswegen muss man auch immer hinterfragen, wie weit die Personen, die sich nicht anders zu helfen wussten als durch Arretierung (ich kenne aus der Supervision ja auch solche Vorkommnisse aus dem klinischen Bereich oder aus Heimen, ja sogar aus Kindergärten) keine rachsüchtigen Sadisten waren, die im Wiederholungszwang anderen das antun, was ihnen selbst angetan worden war, sondern durchaus bemühte Personen, die es eben „nicht besser wussten“.

Wenn man etwas nicht besser weiß, ist es Aufgabe derjenigen, die meinen, Lösungen (im Mehrfachsinn des Wortes) zu besitzen (dazu zähle ich mich auch), Wissen und Praktiken weiterzugeben.

Meine Erfahrung ist allerdings, dass kaum jemand zugibt, Lernbedarf zu haben!

Nachsatz: Der nächste Brief gegen Gewalt (Nr. 83) thematisiert das Sekten-Thema.