Kanadas Premierminister Justin Trudeau (* 1971) hat sich entschuldigt, dass er als Junglehrer 2001 bei einem Kostümfest als Aladin mit geschwärztem Gesicht aufgetreten ist. Verständlich – er befindet sich derzeit im Wahlkampf. Den Vorwurf, rassistisch (gewesen) zu sein, möchte er nicht auf sich sitzen lassen. Er könnte Wählerstimmen kosten. (http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/justin-trudeau-aladin-hat-aerger-16396533.html )

Ich (* 1944) muss zugeben, auch ich bin bei einem Adventspiel 1951 (2. Klasse Volksschule) als Mohrenkönig mit dunkel gefärbtem Gesicht aufgetreten. Aber ich entschuldige mich nicht – weder mit dem Hinweis, dass mich meine Mutter so hergerichtet hat, noch mit Hinweis darauf, dass es damals ganz normal war, sich auf Opern- oder Theaterbühnen der Rolle entsprechend z. B. als Othello oder Madam Butterfly das Gesicht zu schminken.

Rassistisch finde ich nämlich, darauf zu bestehen, dass nur jemand der gleichen Ethnie solch eine Rolle darstellen dürfe – wie wenn es nicht um menschliches Verhalten ginge, unabhängig von einer speziellen Kultur! Oder wollen white men und women nur nicht daran erinnert werden, welche rassistischen Übergriffe ihre Nationen bzw. sogenannten Nationalhelden begangen haben? Deswegen finde ich es auch in Zeiten der globalen Vernetzung als Fortschritt, wenn wir uns daran gewöhnen, dass SängerInnen anderer Hautfarbe den Wotan oder die Zerlina singen.

Auch kann ich nur empfehlen, sich mittels Verkleidung die Erfahrung zu ermöglichen, wie es Menschen anderer Kultur-Ersichtlichkeit ergeht. Als ich noch in den Jugendzentren der Stadt Wien arbeitete (d. h. frühe 1980er Jahre), gestaltete ich als Projektleiterin für u. a. sexualpädagogische Bildungsveranstaltungen gemeinsam mit dem Hausleiter des Jugendzentrums Alt Erlaa drei Projekt-Wochen „Sex im Herbst – Wenn die Blätter fallen“ und in diesem Rahmen eine Rollentausch-Disco: Alle Mädchen kamen als Burschen und umgekehrt. Der Hausleiter, ein stark übergewichtiger Mann mit schwarzem Kaiser-Franz-Joseph-Backenbart, hatte wenig Auswahl, daher kleidete er sich als orthodoxe Türkin in einen bodenlangen Kaftan und trug Kopftuch um seinen Bart verstecken zu können. Er berichtet nachher, die Auto-Fahrt von seiner Wohnung im 5. Bezirk zum Jugendzentrum im 23. wäre der reinste Horror gewesen. Gewohnt, „männlich-schnittig“ zu fahren, stellte die vermeintliche „dicke Türkin“ offensichtlich für seine Geschlechtskollegen DIE Provokation schlechthin dar und dementsprechend wurde er – lustig lustig – behindert und gefährdet.

Demgegenüber wies mich vorgestern ein Kollege auf einen Bericht hin, dass eine Schülerin in den sozialen Medien einen Shitstorm erntete, weil sie für Freundinnen als Nicht-Japanerin eine japanische Teezeremonie veranstaltete (http://i.redd.it/zdw9irx05ip21.jpg) — bis ein Mann dazu postete, er als Japaner finde es großartig, dass man sich mit seiner Kultur auseinandersetze und sie unter Jugendlichen bekannt mache.

Eigentlich sollte es Kulturwochen nicht nur gelegentlich in den Lebensmittelsupermärkten geben, sondern in jeder Schule und in jedem Dorf … als „Kultur des Teilens“ (so einer meiner Buchtitel), als friedfertigendes Gegenmittel zu Ghettoisierung, Nationalismus und Gezeter über Kulturraub („cultural appropriation“).