„Der Preis für Macht und Autorität ist das Ablegen von Weiblichkeit“, wird die Politikforscherin Kathrin Stainer-Hämmerle im Kurier vom 25.09.2018, Seite 2, zitiert, und: „Dass eine Frau in einem Kleid auf der Bühne steht und ruft ,Alle mir nach!‘ widerspräche den gängigen Vorstellung einer Führungsfigur.“ Diesen Behauptungen widerspreche ich sehr energisch – denn mit genau solchen Sätzen werden Legenden gebaut.

Offensichtlich ist der Forscherin das berühmte Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix (1798–1863) nicht im Sinne: Da ist die Freiheit als barbusige Frau dargestellt, die den Männern voran geht. Sie „führt“. Weiblicher geht wohl nicht mehr … und wenn man in dem Buch „Symbole der Macht – Macht der Symbole. Die Französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur“ der kalifornischen Geschichtsprofessorin Lynn Hunt (* 1945) dazu nachliest, weiß man auch, warum. Hunt schreibt über die vielen Darstellungen der Figur der „Freiheitsgöttin“: „Wie eine Heilige der Gegenreformation stand sie für die Tugenden, die von der neuen Ordnung so sehr herbeigesehnt wurden: die Überwindung von lokaler Beschränktheit, Aberglauben und Partikularismus im Namen eines disziplinierten und universellen Kultes.“ (Seite 82.)

Es liegt an den Betrachtenden, welche Emotionen und Absichten sie den dargestellten Personen unterstellen. Ich erinnere wieder einmal an mein Lieblingssprichwort „Ein Dieb sieht auch bei einem Heiligen nur die Taschen“. Manche glauben halt immer noch „Kleider machen Leute“ (wie in der Novelle von Gottfried Keller) oder der Kommandoton (wie der von Carl Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“) und bieten doch nur ein Zerrbild der souveränen Originale, deren Autorität in vielen Jahren der Erprobung gewachsen ist.

Transaktionsanalytisch gedeutet, muss ein Frau überhaupt nicht auf Weiblichkeits-Insignien verzichten – sie muss nur authentisch im „Erwachsenen-Ich“ auftreten (und nicht im koketten klein-putzigen  „Kindheits-Ich“; das polternde „Eltern-Ich“, das „von oben herab“ droht, sollten auch Männer nicht „darstellen“ – das lässt sich heute kaum jemand mehr gefallen). Theresa May darf genauso Schuhe im Tigermuster tragen wie Angela Merkel tiefdekolletiert in die Oper gehen. Es blamieren sich die Kameraleute und Boulevardjournalisten, die sich nur auf dieses Detail stürzen und versuchen, bei ihrem Publikum Häme auszulösen. Übrigens: Nicht nur Vladimir Putin versuchte mit nackten Oberkörper zu punkten … das tat bereits lange vorher schon Jörg Haider. Heute hingegen schlüpfen die überschlanken Polit-Männer in Slimfit-Anzüge und werden ebenso kommentiert – das geht auch viel leichter als sich kritisch UND ernsthaft mit ihrer Politik auseinander zu setzen.

Wenn manche sogenannte Macht-Expertinnen (denn den wirklich Mächtigen, egal ob Männer oder Frauen, ist so etwas egal – nur deren Spindoktoren nicht) propagieren, Frauen müssten einem bestimmten Dresscode folgen, um anerkannt zu werden, gleicht dies den Märchen von der „falschen Braut“, die der „echten“ das Kleid entwendet, aber dann doch enttarnt wird: Es geht in den „oberen Etagen“ nämlich um ruhig-sichere Sach- und Kommunikations-Kompetenz und die erwirbt man „on the job“, wenn man sich entscheidet, live bei Attacken seriös oder auch charmant oder humorvoll zu replizieren – und nicht bei einem Coach, der oder die sich nie in solchen Situationen bewähren musste.