1969 – ich war knapp ein halbes Jahr verheiratet und mein Ehemann vom ORF Wien in den Pressedienst des Wiener Rathauses übergewechselt – lernte ich die Medienexperten der SPÖ Wien kennen, die für den aktuellen Gemeinderats- und Landtagswahlkampf verantwortlich waren, denn es gab ein Abendessen „mit Damen“. Es blieb mir vor allem aus zwei Erlebnissen in Erinnerung: Erstens sagte Vizebürgermeister Felix Slavik zu meinem Mann (damals sein Pressereferent) „Solche Frauen wie deine brauchen wir – schick sie uns in die Partei!“ (dabei war ich bereits seit 1955 beim VSM und danach ab 1962 im VSStÖ, aber halt noch nicht besonders aktiv), und zweitens sangen er (geb. 1912) und Bürgermeister Bruno Marek (geb. 1900) zu fortgeschrittener Stunde „Wir sind jung und das ist schön!“ (das Kinderfreunde-Lied), was einer gewissen Pikanterie nicht entbehrte …

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Derzeit vergeht kein Tag, ohne dass die Tageszeitungen von einem neuen sexuellen Übergriff auf Kinder und Jugendliche berichten: Das begann mit einem Kindergarten in Wien, dann noch einen, dann einen in Graz („Missbrauch in Kindergärten: Es soll 7 Opfer geben“, Salzburger Nachrichten, 24.11.2022, Seite 12), dann Schulen, dann Heime, in Sportvereinen und jetzt wiederum in einer Familie …

Im Grazer Fall hat der Verdächtige die Arbeitsstätte gewechselt, stand da zu lesen. Ich kenne aus meiner Praxis etliche Fälle, wo die Eltern bei Verdacht, dass in der Familie etwas nicht stimmen könnte, den Wohnsitz gewechselt haben – offenbar überwiegt die Angst vor der „Obrigkeit“ das Schutzbedürfnis gegenüber den Kindern (auch in den Institutionen?) – und irgendeine Ausrede findet sich schon, wenn dann gefragt wird, weshalb man sich örtlich verändert.

Vielleicht liegt es aber an der Kommunikation: Wie sollen wir „Ungehöriges“ oder sogar Kriminelles „akzeptabel“ ansprechen? So, dass die angesprochene Person nicht sofort „mauern“ muss, oder flüchten, oder zu einem Gegen-Angriff schreiten? Wie kann man einen Angriff zu einem Anrühren vermindern? (Steht in meinem letzten Buch „Sprechen ohne zu verletzen“ – aber auch, dass es die Entscheidung der angesprochenen Person ist, ob sie sich „entscheidet“, mit einer Demonstration von Verletztheit zu reagieren.)

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Als ich in den 1990er Jahren sehr viel für die AUVA supervidierte und trainierte (vor allem am Weißen Hof, aber auch in Bad Häring in Tirol oder an den UKHs in den Landeshauptstädten), wurde ich immer damit konfrontiert, wie sehr sich die Pflegekräfte durch „gebellte“ Befehle nicht respektiert, sondern verletzt erlebten.

Besonders arg empfanden viele die ins Niemandsland gebrüllten Ein- oder Zwei-Wort-Sätze wie beispielsweise „Apotheke!“, was in korrekter Form „Bitte bringe mir jemand das Apotheken-Wagerl!“ lauten müsste – aber so viele Worte waren den Hilfsbedürftigen (denn sie konnten oder wollten sich ja nicht um die Selbstversorgung kümmern) offensichtlich niemand wert.

Ich habe damals zur Verdeutlichung den Vergleich gefunden – und in vielen meiner Bücher zitiert, letzthin in meinem neuesten Buch „Sprechen ohne zu verletzen“ auf Seite 50: Im Operationssaal darf der Chirurg (absichtlich männliche Form) „Schere! Haken! Tupfer!“ „bellen“, nicht aber in Sozialräumen „Kaffee! Zucker! Milch!“

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Bisher hatte ich Ageismus – die Diskriminierung und Abwertung von Menschen auf Grund ihres Alters – nach beiden Richtungen verstanden: Das „Dazu bist du noch zu jung!“ ohne Erklärung kennen wir vermutlich alle. Johanna Dohnal – damals bereits (und nicht freiwillig) nicht mehr Ministerin, und ich hatte (allerdings freiwillig) mein Mandat schon 10 Jahre zuvor zurückgelegt –  hat mir in den 1990er Jahren einmal am Rande einer Tagung, an der wir beide Vorträge hielten, in ihrer Art von trockenem Humor gesagt, „Das ist das Schöne an unserer Partei, dass man so lange Nachwuchs bleibt …“

Zu der anderen Seite der Zeitlinie hat mir diese Woche eine Schriftstellerin, die ich sehr schätze, erzählt, als ein Verleger, der sich für sie als Autorin interessiert hatte, sie persönlich kennen lernte und merkte, dass sie älter war als auf den Fotos, die er kannte, „charmant“ erklärt: „Wissen Sie – wir arbeiten lieber mit jungen Autorinnen zusammen, die wir aufbauen können!“ Pygmalion-Syndrom (nach Shaw, weniger nach Ovid Pygmalion (Shaw) – Wikipedia) nenne ich so eine Einstellung: Mann will Frau nach eigenen Bedürfnissen „erschaffen“ – ihre Person und Persönlichkeit weiß er nicht zu schätzen, oft nicht einmal wahrzunehmen.

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Die letzten Tage vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Meldung von sexuellen Übergriffen auf Kinder – nach österreichischem Recht bis zum Alter von 14 Jahren – in die Medien kommt: in Kindergärten, in Schulen, in Feriencamps, im SOS-Kinderdorf („Spender aus Österreich soll sich an Kindern in Asien vergangen haben“, Salzburger Nachrichten, 10.11.2022, S. 4), in Wohnungen von angeblichen Freunden sprich Drogendealern und heute wiederum einmal in der Katholischen Kirche („Staatsanwalt ermittelt gegen Kölner Kardinal“, Der Standard 16.11.2022, S. 4).

Ich finde diese Berichterstattungen höchst problematisch – weil sie geistige Bilder auslösen – Horrorbilder wie auch Hoffnungsbilder, und beide sind illusorisch. Die ersteren, weil sie so vage bleiben, dass sich die Adressat:innen oft zu wenig oder zu viel an Grenzverletzung vorstellen und dementsprechend dämonisieren oder verharmlosen, die zweiten, weil sie suggerieren, ein Konzept könne Untaten verhindern.

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Als Jusstudent:innen  (mein Ursprungsberuf, daher mein Doktorat) hatten wir einmal die folgende Frage zu diskutieren: Angenommen, jemand nimmt einen Brokatstoff, der jemand anderem gehört, und schneidert daraus einen tollen Abendmantel – wem gehört dann dieses Werk? Oder: Jemand malt in ein Gemälde eines anderen hinein – gehört es dann ihm?

Die Antwort lautete damals (mit der heutigen Gerichtspraxis bin ich seit meinem Berufswechsel zur Psychoanalyse nicht mehr sehr vertraut): Weiter be- oder verarbeitete Werke gehören der Person, die sie kostbarer macht – und wenn nicht, dann ist sie schadenersatzpflichtig.

Nun wird in den Medien gerätselt, ob André Heller ein Betrüger ist – oder ein Scherzbold („Kein kindischer Streich“, Der Standard, 08.11.2022, Seite 27), wie er sich selbst rechtfertigt – und ob ihm tätige Reue zuerkannt werden kann, da er doch den Erlös seiner „Gemeinschaftsarbeit“ (Betonung auf gemein oder auf Arbeit? „Das ist hier die Frage“ – frei nach Shakespeare, „Hamlet“ – „Ob’s edler im Gemüt, die Schleudern Des wütenden Geschicks erdulden, oder, Sich waffnend gegen eine See von Plagen, Im Widerstand zu enden.“ III. Akt, 1. Szene) zurückgezahlt hat. „Rechtzeitig“? Man wird das Komma auf der Zeitlinie nachprüfen müssen.

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In einer fokussierten „Glosse“ zur Migrationspolitik kritisiert Andreas Koller im Rundumschlag („Diese Migrations-,Politik‘ gleicht einem Armutszeugnis“, Salzburger Nachrichten, 10.11.2022, Seite 2), den Bund, die Länder und die EU, „die nicht willens ist, ihre Außengrenzen zu schützen“, die Staaten, die „die Migranten durchwinken, statt ihrer Verantwortung gerecht zu werden“, die mangelnde Unterscheidung „zwischen Armutsmigranten und tatsächlichen Flüchtlingen“ und wie sie „linken wie rechten Parteien als Unterfütterung für ihre ideologischen Parolen dienen“.

Was der Kürze der Glosse zu Opfer fällt, ist aber die hinter all dem lauernde Mentalität: Koller formuliert Armutszeugnis – ein Begriff, der üblicherweise auf die Geisteshaltung hin angewendet wird.

Aber wäre hier nicht eine Neuwortschöpfung fällig? Denn „Armutszeugnis“ hat ja auch Beweischarakter – und sind die nicht alle „arm“ (an Sicherheit, Bildung, Chancen etc.) gegenüber der sogenannten Ersten Welt?

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Der ehemalige Fußballprofi und nunmehrige WM-Botschafter Khalid Salman nennt Homosexualität Sünde (WM-Botschafter nennt Homosexualität Geisteskrankheit (oe24.at)) – und das kurz vor den Gedenktagen zu den unseligen Pogromnächten des 9. und 10. November 1938: Jeder Pogrom (russisch für Verwüstung) – laut Wikipedia jeder „gewalttätige Angriff gegen Leben und Besitz einer religiösen, nationalen oder ethnischen Minderheit mit Duldung oder Unterstützung der Staatsgewalt“ – vergisst schamhaft die Attacken auf andere diverse Personen, beispielsweise anders geschlechtlich Orientierte, als es der jeweilige Staat vorschreibt.

Salman nennt Homosexualität sogar einen „geistigen Schaden“. Wieder einmal fällt mir der Satz ein, „Für den Fluss sind es die Brücken, die fließen“.

Was ist ein „geistiger Schaden“? Etwas, das den Geist – das vernünftige Denken, die Geisteshaltung, oder die Spiritualität – beschädigt? Oder die Folge eines Traumas – wie eben einer massiven oder dauerhaften Diskriminierung? Oder ist die Aussage nur eine Beschimpfung? Oder die Abwehr eigener Sehnsüchte, Verlockungen oder auch Praktiken? All diese Phantasien können noch weitergesponnen werden …

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Nach einer Klebstoffattacke auf das Vermeer-Gemälde vom Mädchen mit dem Perlenohrring sind in den Niederlanden drei Klimaaktivisten zu Haftstrafen verurteilt worden, las ich soeben auf orf online (https://www.orf.at/stories/3292181/) – und weil ich augenblicklich das Buch „Über Religion im Ethikunterricht sprechen?“ von Sophie Wimmer und Katharina Haunschmidt (edition Widerhall) lese, denke ich darüber nach, dass man im Ethik-Unterricht eigentlich auch thematisieren sollte, wo die Grenzen der verkörperten Protestfreiheit liegen sollten. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt ja „Meinung“ und das beinhaltet mehr oder weniger kluges und wohlformuliertes Reden und Schreiben – nicht aber Delikte wie eben Sachbeschädigungen (auch versuchte!) oder Beleidigungen oder Stalking.

Im Studium der evangelischen Fachtheologie hatten wir zwei Semester Ethik, und da ging es nicht nur um Literarisches und Historisches, sondern vor allem um aktuelle politische Themen wie eben Umwelt, und dabei auch Wirtschaftsinteressen – und beide Aspekte sind ja immer auch präsent, egal, worum es sich handelt, das haben wir ja in der Pandemie und seither nur zu deutlich zu spüren bekommen.

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Endlich wieder Zeit, etwas anderes zu lesen als die Bücher, aus denen ich Stellen zum Zitieren suche: Bin gestern mit dem Manuskript meines neuen Buches „Sprechen ohne zu verletzen“ fertig geworden!

Und weil heute Allerheiligen ist, habe ich zu Brigitte Krautgartners „Hinter den Wolken ist es hell. Von Krankheit und Abschied und dem Glück des Neubeginns“ (Tyrolia) gegriffen – und es in einem Zug ausgelesen. Die Hörfunk-Journalistin des ORF beschreibt darin ihren persönlichen Umgang mit der Zeit des Abschieds von ihrem langjährigen Lebensgefährten, von „noch daheim“ – im letzten Urlaub – auf der Onkologie – und zuletzt im Hospiz, und sie schreibt ehrlich.

Genau das hat mir imponiert – dass sie sich nicht den gängigen Erwartungen unterwirft / unterwerfen lässt, sondern sich Unterstützer:innen findet, die sie bestärken, der Realität entsprechend mit dem Unvermeidlichen umzugehen – ohne für sich wie für ihn ein Drama draus zu machen.

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