Conrad Seidl hat „dem Volk“ längst überfälligen Nachhilfeunterricht in politischer Bildung gegeben [PressReader.com – Zeitungen aus der ganzen Welt], indem er das Anforderungsprofil der Spitzen der Verwaltung erklärt hat. Was er nicht erklärt hat ist, dass Spitzenpolitiker, sofern sie aus dem Parteiapparat kommen und nicht Quereinsteiger sind – und das erkennt man bei letzteren meist sofort – für solche Funktionen in vielen Kursen und Schulungen ausgebildet worden sind.

Überfällig wäre aber auch, die Funktionsweisen innerhalb und quer durch die Ministerien (und die oft langwierigen Abstimmungen mit Europa-Recht) zu erklären – vor allem um die vielen still und korrekt arbeitenden Personen zu rehabilitieren, die auch viel Verantwortung auf sich lasten haben. Ich habe so viele in Seminaren für Verwaltungsakademien (von etlichen Bundesländern aber auch des Bundes) wie auch Einzelsupervisionen bei der Lösung fachlicher wie auch kommunikativer Probleme (was man aber gar nicht trennen kann) begleitet, und viele dieser Themen betrafen potenziellen Widerspruch gegen Vorgesetzte. Die Arbeit in einem Ministerium – oder einer Landesregierung – ist nicht mit der Arbeit in einer „Firma“ vergleichbar, das hat der langjährige Sektionschef im Wissenschaftsministerium Raoul Kneucker in seinem Buch „Bürokratische Demokratie – demokratische Bürokratie“ (Böhlau 2019) verdeutlicht, in dem er auch die Zukunftsperspektiven einer lebendigen Verwaltung im 3. Jahrtausend skizziert.

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Eigentlich wollte ich das aktuelle Cover „Best of Böse“ des Wochenmagazins Falter [Satire?: Presserat prüft ‚Best of Böse‘-Cover des ‚Falter‘ (horizont.at)] nicht kommentieren – erstens weil es ja nur eine Fotomontage ist, zweitens weil es mehr als veraltet ist (wieso noch Schallenberg?), drittens weil trotz Goethes Diktum [Johann Wolfgang von Goethe | zitate.eu] mich die Absicht nicht verstimmt – die Blattlinie vom Falter ist ja bekannt – und ich viertens Trolle und deren Anverwandte nicht füttern mag. (Und dass ich fünftens der Meinung bin, Satire sollte man Berufs-Satirikern – als Fachleuten – überlassen, habe ich schon mehr als oft genug geschrieben.)

Warum ich es nun aber doch tue, hat folgenden Auslöser: Kaum hatte ich die vielen empörten Sexismus- und Privatheitverletzungs-Vorwürfe (s. Art. 8 EMRK) und die wenig verständnisvollen Entgegnungen von Armin Thurnher „and friends“ [„Heilige Familie“ mit Kurz und Thier: Herausgeber Thurnher, Peter Klien und „Tagespresse“ reagieren auf „Falter“-Satire – Medien – derStandard.at › Etat] gelesen, erinnerte ich mich sofort an das Profil-Cover vom 11.03.1996 mit dem (gefaked!) „nackten“ Bundeskanzler Vranitzky [Nackt auf der Titelseite, unfreiwilliges Werbesujet – alles Satire? – Blog: Medienrecht – derStandard.at › Recht], der sich dem damaligen Zeitgeist entsprechend logischerweise dagegen wehrte.

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Seit Montag, 21. Dezember 2021, steht mit dem sogenannten „Bierwirt“ ein „prominenter“ des Mordes seiner Lebensgefährtin Angeklagter (es gilt, solange er nicht verurteilt ist, noch immer die Unschuldsvermutung) wieder einmal vor Gericht.

Prominent nenne ich ihn, da er bereits vor Jahren mehr oder weniger sicher als Verfasser obszöner SMS an eine Grünpolitikerin die Zeilen der Gerichtsaalberichterstattung gefüllt hat; möglicherweise wird er mit seinem Geschäfts-Namen als Prototyp der bis dato 31 Morde an ihren Partnerinnen oder Ex-Partnerinnen in die Wiener Kriminalgeschichte eingehen.

Er könne sich alkoholbedingt an nichts erinnern, baut er nun eine Entschuldigungsstrategie als vorübergehend unzurechnungsfähig auf – obwohl bekannt ist, dass er bereits kurz vor den tödlichen Schüssen auf die Mutter seiner Kinder deren Vater mit der Waffe bedroht hatte (und die sich darauf endgültig trennen wollte), und dass er unmittelbar nach der Tat nachweislich schnell (!)  zwei Flaschen Schnaps trank (Mordprozess gegen Bierwirt: ,Ich war das‘: Kurier, 21.12.2021, S. 18).

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Scham ist eine zentripetale Reaktion – man zieht sich quasi zusammen und in sein Inneres zurück (oder würde, wenn es ginge, gerne in den Boden versinken). Die – ebenso extreme, nämlich das Mittelmaß verfehlende – Gegenreaktion ist die Empörung: Man macht sich Luft, breitet sich aus und empor … und verliert oft den Boden unter den Füßen.

Oft folgt eines aufs andere – aber wenn das rechte Maß nicht verfehlt wird, denkt man darüber nach, weshalb man sich schämt, findet viele zusammenwirkende Auslöser, protestiert gegen die, bei denen Änderungen erreichbar scheinen (die vernünftige Art, sich Luft zu machen, anstatt bloß zu randalieren!) und arbeitet mit Disziplin und Geduld an Problemlösungen, wie schwer diese auch sein mögen. Klassisches Beispiel: chronische Krankheiten.

Viele schämen sich nicht nur ihrer eigenen Krankheiten – besonders, wenn sie das Äußere verändern – sondern auch ihrer Angehörigen. Scham ist dann eine innerpsychische Flucht ins Nirgendwo – und meist ausgelöst durch fremden Spott und / oder eigene Angst vor ernsthaft argumentierter übler Nachrede. Aktuell erlebt am Beispiel des ORF als Arbeitgeber. (Vormaliges Gegenbeispiel: ORF-Korrespondent Lorenz Gallmetzer hatte den Mut, ein Buch über seine Alkoholkrankheit zu schreiben. Hoffentlich hält er für die Zukunft durch! Es ist ihm zu wünschen.)

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Von dem US-amerikanischen Psychologen Martin E. P. Seligman (* 1942) stammt der Begriff der „erlernten Hilflosigkeit“. Er bedeutet, sich selbst allein für die vermeintliche Unfähigkeit verantwortlich und sogar schuldig zu fühlen, die jeweilige oder gesamte Lebenssituation verbessern zu können.

Aus aktuellem Anlass formuliere ich jetzt eine geistige Gegenhaltung: Zu glauben, selbst in – aus welchen Gründen auch immer – geschwächtem Zustand „funktionieren“ zu können (bzw. zu müssen).

Da kann die Ärzteschaft noch so oft mahnen, man möge bei Fieber nicht an den Arbeitsplatz und womöglich die Kollegenschaft anstecken (abgesehen davon, dass die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt). Ebenso solle man übermüdet (oder unter z. B. Muskeln oder psychisch „entspannenden“ Medikamenten) nicht mit dem Auto fahren – denn dieser Zustand entspräche einer Alkoholisierung von mindestens 1,0 Promille. Und wenn im Beipackzettel eines Medikaments davor gewarnt würde, keine Maschinen zu bedienen, gilt das genauso.

Aber abgesehen davon, dass kaum jemand die Beipackzettel liest – sie werden ja auch Leser-unfreundlich in winziger Schrift gedruckt! – glauben die „Braven“, die Disziplinierten, Chef-Folgsamen, sie müssten immer ihre Pflichten erfüllen. Während die „Schlimmen“, die sich trauen, auf sich selbst und andere aufzupassen, sich in solchen Zuständen „aus dem Verkehr ziehen“. Ersteres geht manchmal ordentlich schief.

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In ihrem Buch „Populismus für Anfänger – Anleitung zur Volksverführung“ (Verlag Westend, Frankfurt/Main 2017) beschreiben der langjährige Linzer Volkswirtschaftsprofessor und NLP-Lehrtrainer Walter Ötsch und die Politikwissenschaftlerin und Falter-Chefreporterin Nina Horaczek am Beispiel vieler nationaler wie auch internationaler „rechter“ Politiker:innen, wie mit subtilen Skandalisierungen die Bevölkerung in Richtung Aggression gegen deren Konkurrenten – sprachlich als „Mitbewerber“ verharmlost – um politischen Einfluss und Macht emotionalisiert wird.

Die erste Anleitung benennt das Autorenduo als „Erfinden Sie sich Ihre eigene Welt“ mit sich selbst – den „Wir“ – als den einzigen Guten und Richtigen und den „Anderen“ als den Bösen und immerzu Unrichtigen. Punkt 5 in der 18 Punkte umfassenden „Betriebsanleitung“ lautet dabei: „Gestehen Sie den ANDEREN nicht einen Funken Moral zu.“ (S. 227)

Diesen Aufbau von Feindbildern kann man immer wieder in der Geschichte (auch der Religionsgeschichte!) wahrnehmen; er ist Zeichen eines „binären Weltbilds“ sprich „Schwarz-Weiß-Denkens“ und wird zumeist als quasi unvermeidbare Naturgegebenheit verinnerlicht.

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Wenn man an den Beginn der Arbeiterbewegung zurückdenkt, war der gemeinsame Marsch die wohl wichtigste Demonstration des „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ (Georg Herwegh) mit dem Beweis, wie viele Arme (im Doppelsinn des Wortes!) dahinter stünden. Ein Streik in einem Betrieb konnte das nicht.

Seit damals ist mehr als ein Jahrhundert vergangen und viele Demonstrationsmöglichkeiten auf und in vielen Orten sind dazu gekommen:

  • Einerseits die vielen öffentlichen Medien – die vor allem dort unverzichtbar sind, wo undemokratische Staaten jede gegensätzliche Meinungsäußerung verbieten. Ich habe als gerade-noch-nicht-Ehefrau eines ORF-Journalisten (geheiratet haben wir erst im Oktober) das Abwürgen des Prager Frühlings im August 1968 hautnah miterlebt, und all die Bemühungen seiner Freunde, Nachrichten aus der so plötzlich zur Stummheit gezwungenen Medienwelt in den „freien Westen“ zu schmuggeln.
  • Andererseits die elektronischen Medien, mittels derer jedermensch sein oder ihr eigenes Filmteam darstellen und vermarkten kann – in einer Demokratie.

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Der  hochangesehene Gerichtspsychiater Reinhard Haller schreibt in seinem aktualisierten Buch „Das Böse – Die Psychologie der menschlichen Destruktivität“ (ecowin 2021): „Schließlich setzt die Verwirklichung des Bösen die Missachtung des ,Moralinstinkts‘ voraus.“, und  erklärt dazu, dass Moralinstinkt „die Einhaltung bestimmter sozialer Regeln, die für ein Zusammenleben von Menschen unabdingbar sind, ferner die Achtung der Rechte des anderen und die Eindämmung eigener egoistischer Ansprüche, vor allem aber die Verhinderung der Zerstörung menschlichen Lebens“ meine. Diese zentralen Maßstäbe der Moral sind global vergleichbar und keine Frage der jeweiligen Kultur (S. 216). Und dann mahnt er, es gehöre zu der Dynamik einer Gruppe, dass „Meinungen primitivisiert, Emotionen hochgeschaukelt und destruktive Kräfte in elementarer Form freigesetzt werden“.

Was Haller nicht schreibt, was aber viele entsetzte Menschen bei ihren Nächsten erleben, ist das, was ich den „Sog der virtuellen Masse“ nenne: Was sich in einer realen Gruppe durch „Ansteckung“ multipliziert, kann auch den einzelnen Fernsehsendungen sehenden, ja sogar „nur“ lesenden Menschen in die vermittelte „Stimmung“ versetzen (die, dank der bildgebenden Verfahren in der Gehirnforschung, naturwissenschaftlich nachweisbare Bildung von „Spiegelnervenzellen“) – außer er oder sie verfügt über eine präzise Selbstbeobachtung, merkt die emotionale Überflutung durch die Fremdenergie und beginnt mittels Vernunft diesen Verlauf zu kontrollieren.

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Stefanie Sargnagel recte Sprengnagel hat gestern ihre erste „Hetzrede“ gehalten, schreibt sie stolz auf Facebook, und sie sei aufgeregt gewesen.

Ja, Aggression erregt – und für manche Leute ist sie Ersatz für sexuelle Erregung oder ohnedies auch beides, weil erstere die Gliedaufrichtung fördern kann, wenn es an Liebe mangelt, und dazu dienen Feindbilder. Frauen beispielsweise – in Erinnerung an die schimpfende / verbietende Mutter der frühen Kindheit, wiederbelebt in den Frauen, die Gehorsam verweigern. Oder alle, die anders sind, besonders wenn sie besser sind – in Erinnerung an die Schulzeit und schimpfende / verbietende Lehrkräfte. Oder erfolgreicher. Oder mächtiger … auch wenn das nur Fantasien sind.

Joseph Goebbels hat gehetzt, Herbert Kickl tut es und jetzt Stefanie Sargnagel. Zweimal von rechts, einmal von links. Wie sich die Bilder gleichen! (Wobei ich mir bei Sargnagel nicht sicher bin, ob ihr Text nicht als Parodie verstanden sein will …?)

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In der Zeit im Bild um 13 Uhr formulierte Jörg Leichtfried seine Stellungnahme zur Regierungsumbildung der ÖVP, „Der Auftritt des Herrn Nehammer war nicht dazu geeignet, Vertrauen wieder herzustellen“ und wiederholte sich sogar nochmals gleichlautend. (Typisches Politsprechtraining: Kein Inhalt, nur ein Slogan, aber den wiederholt – weil alles andere könnte ja redaktionell gekürzt werden! Hab ich seinerzeit als Mandatarin auch so eingetrichtert bekommen.)

In der Juristerei unterscheidet man Hol- und Bringschulden.

Vertrauen ist eine Bringschuld, keine Holschuld, da irrt Herr Leichtfried – oder er will sein Publikum bewusst manipulieren: Vertrauen „bringt“ man entgegen – oder eben nicht. Misstrauisch darf man sein.

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