Da kniete ein weißer Polizist auf dem Hals eines 48jährigen Schwarzen, der „mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein erwischt“ worden war (Salzburger Nachrichten,  30. Mai 2020, Seite 8). Die relevante Rechtsfrage, ob er ihn selbst angefertigt hatte oder unterschoben bekam, hat der Cop offensichtlich nicht in Erwägung gezogen. Der Mann flehte um sein Leben, er könne nicht mehr atmen.  Bald darauf war er tot.

Schwarze Hautfarbe genügt offenbar, um erstens als Verbrecher zu gelten und zweitens kein Lebensrecht zu haben. „Lebensunwertes Leben“ hieß das in der NS-Zeit. Heute erinnern aufrechte Demokraten und Demokratinnen: „Niemals vergessen“, und: „Wehret den Anfängen“.

Und dann ist zu lesen (https://www.krone.at/2163968?fbclid=IwAR24io2XgpMXInvAYi4Hv0J6lKBb0aH7kARQwPM7ZhZw4CPR4m8iFjyS-F8), dass in Wien mehrere Jugendliche mit verschränkten Armen eine Blockade gegen Notfallssanitäter aufbauten, die einen Bewusstlosen retten wollten und ebenso der Polizei Widerstand leisteten. Auch dieser 60jährige Mann verstarb kurz darauf, nachdem er endlich ins Spital gebracht werden konnte.

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In Ergänzung zu meinem „Brief gegen Gewalt“ Nr. 37 möchte ich gerne einfach und deutlich präzisieren, was Trauma bedeutet, woran man es erkennt und wie  man es in die eigene Biographie integrieren kann.

Ein psychisches Trauma ist ein lebensgeschichtliches Ereignis, das die zur Bewältigung verfügbaren Ressourcen übersteigt, d. h. man weiß bzw. kann es nicht bewältigen. (Unter einem physischen Trauma versteht man üblicherweise jede gröbere Körperverletzung – um dazu die Diagnose psychisches Trauma zu konstatieren, müssen bei einem durchschnittlich kundigen Erwachsenen weitere Bedrohungen für Leib und Leben dazu kommen; bei Kindern, die noch unkundig sind, oder Menschen, die spezifisch körperbehindert sind, reichen da schon Überraschungen wie ein sich schnell annähernder große Hund – denn bedingt durch deren Minder-Größe ist das, was für einen Durchschnitts-Erwachsenen nicht einmal ein Mikrotrauma darstellt, oft ein Makrotrauma.)

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Da hat sich heute eine Mutter auf Facebook gewundert, dass Kinder durch das Tragen der Mund-Nasen-Schutzmasken traumatisiert sein sollen und danach für eine gesunde Frustrationstoleranz plädiert, damit die Kinder lernen, Unangenehmes auszuhalten. Hat halt ein bisserl sehr nach „schwarzer Pädagogik“ geklungen … ist aber was Wahres dran, nur:

Unangenehmes aushalten lernen, setzt
1. voraus, dass man dazu die passenden Wahrnehmungs- und sodann Handlungsnervenzellen entwickelt, und dies sollte
2. in begleitender Erklärung durch liebevolle UND vertrauenswürdige Erwachsene geschehen (Erklärung zu meiner Formulierung: Pädosexuelle benehmen sich meist auch liebevoll, sind aber nicht vertrauenswürdig.), und setzt
3. auch voraus, dass diese Erklärungen knapp und altersentsprechend sind.

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Rotraud A. Perner

„Wie entscheiden wir uns, wenn wir uns entscheiden“

Skriptum der für 16. März 2020 geplanten Ethik-Vorlesung an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, die wegen der Covid-19 Pandemie am 23. April 2020 über Video gehalten wurde.

Abstract:

Im dritten Jahrtausend mit seinem weltweiten Anspruch auf demokratische Entscheidungsstrukturen (Mitbestimmung in den Betrieben, Bürgerpartizipation, Staatenkooperation etc.) braucht es für die große Zahl der Entscheidungen weniger die  Bezugnahme auf die historischen Reflexionen von geistigen Eliten über ethische Grundwerte als den konkreten Rückblick auf die eigenen wie auch fremden Voraussetzungen und  Beweggründe.

Entscheidungen fallen zumeist entweder kognitiv (d. h. nach vorgegebenen Mustern) oder emotional (d. h. „spontan aus dem Bauch heraus“).  Um diese Impulse bereits im Vorhinein in verantwortliches Handeln überzuleiten, braucht es die Erforschung und Integration des individuellen wie auch kollektiven „Schattens“ (C. G. Jung) und diesbezüglich Achtsamkeit auf die eigene (gedankliche wie auch hörbare) suggestive Sprachwahl.

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Wie in „Brief“ Nr. 35 angekündigt, will ich noch weitere Gedanken zum derzeit „abgesagten“ Turnunterricht vorstellen.

Zuerst möchte ich Werner Schwarz, dem Direktor des BG Zehnergasse in Wiener Neustadt Anerkennung zollen: Der erfahrene Sporttrainer demonstriert (s. Kurier, 14. Mai, S. 15), wie man mit langsamen Bewegungen seine Muskulatur als Vehikel für – nicht nur physischen sondern auch psychischen – Kraftaufbau nutzen kann. Genau deswegen bin ich dafür, im derzeit „Bewegung und Sport“ geheißenen vulgo Turnunterricht auch Tai Chi, Qui Gong, Ismakogie, Eurhythmie etc. gleichberechtigten Raum zu geben – und dem Tanz (wo heutzutage ohnedies selbst bei Paaren meist jede/r nur für sich swingt).

Gunter Kreutz, der am Institut für Musik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg lehrt, weist in seinem Buch „Tanzen – Glücklich mit Tango, Salsa und CO“ (Psychosozial-Verlag) darauf hin, wie durch Synchronisation beispielsweise stampfender oder klatschender Individuen Signale in einen viel weiteren Umkreis gesendet werden können, es liege nur daran, sich auf ein gemeinsames Tempo zu einigen (S. 88). Kindergartenstudien hätten auch gezeigt, dass allein das synchrone Schaukeln Wahrnehmung und Verhalten der Kinder untereinander prosozialer beeinflussen könne – selbst wenn sich die Kinder vorher gar nicht kannten (S. 135). Weiterlesen

Seit Jahren fordert „die Wirtschaft“ zukunftsorientiert mehr Informatik im Schulunterricht – und dass Umgang mit elektronischer Kommunikation wichtig ist, hat sich gerade in Zeiten des Lock Down bewiesen. Allerdings ist diese Verwandlung von Zukunftsorientierung zur Arbeitswelt der Gegenwart, so scheint es mir, zum Fixpunkt gekommen, anstatt für uns alle einen Anstoß zur Überprüfung und Weiterentwicklung zu geben.

Als ich zu Beginn dieses Jahrtausends an der Donau Universität zu unterrichten begann, war der Begriff des „blended learnings“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Integriertes_Lernen) für mich neu. „Wir sind eine ,flying university‘!“, sagte mir damals die Vizerektorin Ada Pellert, als sie mir den Auftrag gab, neue Studienangebote zu entwickeln, „Wir entscheiden selbst, wann wir anwesend sein müssen und wo das verzichtbar ist. Beachten Sie das beim Konzipieren Ihrer Lerninhalte!“ Heute, fast zwanzig Jahre später, weiß ich auch durch mein Altersstudium der evangelischen Fachtheologie, wie gut man e-learning in den Präsenzunterricht einbauen kann – und wie weiter ausbaufähig das ist, vor allem, weil es permanent die Kreativität aller am Lernprozess Beteiligten herausfordert. Nur: Ist dies auch gewollt?

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Der 30. April – Walpurgisnacht – ist vorbei, der Tag der Arbeit auch, aber die Hexenjäger und leider auch Hexenjägerinnen arbeiten flott weiter. Sehr treffend schreibt Birgit Braunrath heute (14. Mai) im Einserkastel des Kurier: „Die alten Werte sind zurück. Aus der Solidargemeinschaft wird wieder die Neidgenossenschaft.“ Die „Gesellschaft des Kain“ formiert sich wieder, um mit scheelem Auge auf die zu blicken, die es „nicht gut genug“ machen ohne zu erklären, was sie denn als „besser“ erwarten würden … Erinnert alles an Julius Cäsar … keine offene Kritik direkt ins Angesicht, sondern aus sicherer Distanz, aber über die professionellen und (a)sozialen Medien in der Hoffnung auf viele Likes zur Verstärkung … Dabei wäre das heute  als interner Disput mit oder ohne hilfreichem „Joker“ und eventuell einvernehmlich offiziell mitgefilmt möglich, wäre mal ein Zeitdokument anderer Art.

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In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen schreibt der staatlich hochgeförderte (z. B. 6teilige TV-Serie „M“) österreichische Filmemacher David Schalko (*1973), Bundeskanzler Sebastian Kurz habe in einer Sitzung Mitte März bedauert, dass die Bevölkerung das Covid-19 Virus noch nicht ernst genug nähme und man daher mit „drastischer“ Rhetorik Angst machen solle. (https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/sebastian-kurz-in-der-corona-krise-widerspruch-ist-zwecklos-16745743.html?GEPC=s2&fbclid=IwAR0uTJXQKAyaYYwqOQ7GHuX9gdcwcY3UU8nxiQjmNT3-Wac6XKupQ4WaPxU&premium=0x36b904adf70207be44d16d0b3dbb54ae)

Ohne jetzt die Korrektheit des zitierten Protokolls in Zweifel ziehen zu wollen – dieser Hinweis bezieht sich darauf, dass ich einige Male Opfer von Fehlformulierungen feindlicher ProtokollführerInnen war und daher gewohnheitsmäßig überkritisch bin – finde ich diese Formulierung, so sie so gesprochen wurde, nicht bloß unbedacht, sondern vor allem nicht salutogen. (Salutogen bedeutet alles, was gesund macht / als Gegenbegriff zu pathogen, also allem, was krank macht.)

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Täglich werden die Zahlen der an Covid-19 Erkrankten, Gestorbenen und Genesenen veröffentlicht – und gleichzeitig häufen sich die Stimmen derer, sie sagen, die Verstorbenen wären ohnedies verschieden, auch ohne die Gefährdung durch die aktuelle Pandemie. Darin vermute ich deren spontane Abwehr der Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben.

Aus der „Distanz der Unbetroffenen“Cornelia Kazis) ist es leicht, anderen das Lebensrecht abzusprechen. Noch immer ist der „Schoß fruchtbar noch, aus dem das kroch“ (Bert Brecht, „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, Epilog) – und noch immer zitieren Unbelehrbare die Nazi-Phrase vom „lebensunwerten Leben“. Sie ignorieren die Tatsache, dass der Wert eines Menschen nicht in seiner wirtschaftlichen „Nützlichkeit“ besteht, sondern als Teil eines bioenergetischen Austausches von Achtsamkeit, Zuwendung und Fürsorge – denn auch die muss man lernen und ausüben, sonst verkümmert dieses Potenzial. (Lernen erkläre ich als „Bilden von Neurosignaturen“ – also Wahrnehmungs- wie auch Handlungsnervenzellen.) Wenn wir unsere Liebensfähigkeit erweitern wollen, brauchen wir Menschen oder Situationen, bei denen uns diese Fühlkompetenz nicht „einfach zufliegt“, sondern erarbeitet werden muss. Das ist immer dann der Fall, wenn etwas „lästig“ ist – unerwünscht, bedrohlich, unkontrollierbar, ängstigend.

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